Volkssitzung am 12.01.2008 in Köln auf den Neumarkt
 
  schrieb am 13.01.2008

Mer sin dat Volk

Köln- Sitzungskarneval
Von S. KAYSER
Köln -14 Uhr: Samstagmittag in der City. Gefühlte 30 Grad, Kreischpegel wie beim Popstars-Konzert, geschätzte 35 Zentimeter Sitzfläche – Seite an Seite mit verschwitzten Rheinländern. Das Festzelt auf dem Kölner Neumarkt – Ausnahmezustand. Hier feiert die Basis am Wochenende Karneval.

Das Kölsch für 2,80 Euro, das halbe Brötchen für 2,90 und die Flasche Wasser für 11 Euro: Bei den normalen Sitzungspreisen kommt Otto-Normalo-Jeck finanziell ins Schwitzen. Und die Sitzungsbetreiber auch - weil die Säle immer leerer werden. Dabei ist das Rezept so einfach: Preise runter – und das Volk kommt! Die zwei Tage der „Volkssitzung“ von Alt Köllen – seit Monaten restlos ausverkauft.


 


„Weißte: Hier kannste mit den richtigen Lück feiern. Motto: Mer sin dat Volk“, säuselt Matrosin Hannelore Zeumer (56) aus Troisdorf, die mit fünf Nachbarinnen angerückt ist. Ihr erstes Fässchen neigt sich um 14 Uhr schon bedenklich dem Ende. Der stark verschwitzte Kellner wird schon anvisiert.

Der Gang zur Toilette durch das 1800-Leute-Zelt - für Jecke wie Hannelore wie ein Gang auf dem Roten Teppich. Winken, busseln, Äugchen knipsen. „Hier musste dich nicht genieren. Hier haste einfach Spaß“, meint die Kölnerin Cornelia (41). Mit ihren 25 Jahren liegen „Pilotin“ Sandra und Kapitän Martin eigentlich weit unter dem traditionellen Sitzungsalter: „Aber hier sind wir mit 20 Mann. Das können wir uns leisten.“


 


Kein Wein- und Flaschenzwang: Die Karten kosten zwischen 15 und 19 Euro (sonst im Schnitt 40 Euro), 0,3-Kölsch,-Cola und Wasser gibt es für 2,10 Euro, das Mettbrötchen für 1,80.

Ein Wermutstropfen bleibt bei der Feierei: Wegen des neuen Platzkonzeptes der Stadt soll die Sitzungsparty nach 25 Jahren 2009 nicht mehr stattfinden. „Alt Köllen“-Sprecher Wolfgang Kaup: „Die Politiker wollen doch vom Volk gewählt werden. Dann sollen sie sich das auch mal angucken kommen.“
 

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schrieb am 14.01.2008

Das jecke Volk kämpft für den Neumarkt
Rund 4000 Besucher feierten am Wochenende bei zwei „Volkssitzungen” — es könnten die letzten gewesen sein
Politiker wollen die Zahl der Großveranstaltungen in der Innenstadt reduzieren.

VON CLAUDIA HAUSER
Alle haben unterschrieben: die Gouda-Frau Antje mit den langen blonden Zöpfen. die unzähligen Piraten, der Mann, der sich als Kölsch-Glas verkleidet hat und das Mädchen im Fliegen-Kostüm. Sie alle hoffen, mit ihrer Unterschrift zu erreichen, dass die traditionelle Volkssitzung der KG Alt-Köllen auch in den kommenden Jahren auf dem Neumarkt stattfinden kann.

Seit 25 Jahren feiern an je zwei Tagen 4000 Menschen echt kölschen Karneval: Sie bringen ihre Eltern mit, ihre Kinder und große Picknickkörbe, in denen Tupperschüsseln in allen Farben lagern. Käsewürfel, Salzgebäck oder Leberwurstbrötchen gehören zur Grundausstattung. Räuberfleisch, Mettbrötchen und Bratkartoffeln gibt es im Zelt zu kaufen. Die Wasserpreise kennt hier niemand. Wein interessiert nicht. Alle wollen Kölsch. Spätestens, wenn Präsident Hans Brocker die Paveier auf die Bühne bittet, klettern die Jecken auf die wackligen Klappstühle und singen: „Mir sin Kölsche us Kölle am Rhing”. Bei den Höhnern gibt es kein Halten mehr: Das Zelt bebt, sogar einige Leute, die davor auf die Bahn warten, schunkeln und singen mit: „Echte Fründe stonn zusamme.”

Wenn es nach einem Ratsbeschluss vom Dezember 2007 geht, war das die letzte Volkssitzung auf dem Neumarkt. Es sollen künftig deutlich weniger Veranstaltungen auf den Innenstadt-Plätzen stattfinden - so sieht es das neue Vergabekonzept vor. "Rot-Grün soll die Finger von Tradition, Brauchtum und Karneval lassen", sagt Senatspräsident Wolfgang Kaup, der die Volkssitzung vor 25 Jahren ins Leben gerufen hat. „Schauen Sie sich die Menschen an: Sie kommen hierher, um sich zu feiern. Zusammen mit denen, die auf der Bühne stehen.” Kaup meint, die Politik müsse erkennen, dass dieser Beschluss falsch war. " Die regieren über die Köpfe der Bürger hinweg."

Schützenhilfe gibt's jetzt von höchster Narrenebene. Festkomitee-Präsident Markus Ritterbach will die Volks-Sitzung zur Chefsache machen. „Dass hier auf dem Neumarkt nach 25 Jahren Schluss sein soll, das geht gar nicht. Notfalls lasse ich im nächsten Jahr die Traditionskorps aufmarschieren und den Platz absperren, damit die Leute feiern können. Das lassen wir uns nicht verbieten. Köln bräuchte noch viel mehr derartige Volkssitzungen.”

Jecke Feste auf dem Neumarkt haben eine lange Tradition: 1823 zog der erste Rosenmontagszug - oder besser: Zügchen, es waren gerade mal ein paar Wagen - um den Neumarkt. Die Kölschen wollen den Platz als Mittelpunkt des Karnevals nicht aufgeben. Auf die Frage, was denn so schlimm daran wäre, die Sitzung künftig beispielsweise in Deutz auszutragen, reagieren alle mit verständnislosen Blicken. „Was sollen wir auf der Schäl Sick?” sagen die einen kopfschüttelnd. Andere reagieren wütend: „Warum sollen wir weg? Weil wir die Anwohner stören?” Dabei sei dies doch der echte Karneval, beteuert ein Mann im Donald-Duck-Kostüm. „Hier müssen keinen Schilder hochgehalten werden, auf denen steht, wann geklatscht oder gelacht werden muss.”

Schon im Sommer muss man sich um Karten für die Volkssitzung bemühen. Auch Ursula Teich hat sich in diesem Jahr wieder rechtzeitig um alles gekümmert. Wochenlang hat sie genäht und gebastelt für ihr „Froschkönig-Kostüm”: Ein Gewand mit aufgenähten Fröschen aus Filz und einer goldenen Christbaumkugel am Gürtel. „Der Ort hier hat Tradition - und die Sitzung gehört hierher”, sagt sie. „Man kann sie nicht einfach woanders veranstalten.” Von Anfang an spendete die Karnevalsgesellschaft Alt-Köllen alle erwirtschafteten Überschüsse - laut Kaup insgesamt rund 70 000 Euro - an Einrichtungen wie die Kinderkrebsstation. „Die Stadt will soziales Engagement offenbar eliminieren”, sagt er. Und wirkt dabei fast schon resigniert.
 

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